Fingerabdrücke, Videoüberwachung und großer Lauschangriff könnten schon bald Schnee von gestern sein. Die Personenüberwachung hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine neue Dimension erreicht. Das Zauberwort heißt Radio Frequency Identification (RFID).
Die RFID-Technologie wurde ursprünglich entwickelt, um logistische Prozesse zu vereinfachen: Eine Ware sollte auf ihrem Weg von HerstellerIn zu EmpfängerIn lückenlos verfolgt werden können und jederzeit lokalisierbar sein. Das System, mit dem dies schon vor einigen Jahren in die Realität umgesetzt wurde, ist simpel. Ein RFID-Chip wird an einem Produkt angebracht und speichert Daten über dessen Herstellungsdatum, seine Herkunft und seinen Bestimmungsort. An den Chips sind kleine Antennen angebracht, mit denen gespeicherte Informationen an spezielle Lesegeräte weitergegeben werden können. Solche Geräte können die Daten in einer Entfernung von bis zu sechs Metern ablesen und an allen erdenklichen Orten installiert werden. Sie speichern die Daten und der abgelesene RFID-Chip - und somit auch dessen TrägerIn - wird lokalisierbar. Auf diese Weise kann der Weg eines Produktes bis zur Deaktivierung des RFID-Chips mühelos verfolgt werden.
Vorläufer und Verwandte des RFID-Systems gehören bereits zum Alltag: Diebstahlsicherungen in Kaufhäusern oder das GPS-Navigationssystem im Auto arbeiten mit einer ähnlichen Technologie. Zudem gibt es bereits Videoüberwachungssysteme, die durch RFID-Chips aktiviert werden. Passiert ein Produkt mit Chip eine Lesegerätstation, schaltet sich automatisch die Überwachungskamera ein.
Aber was für die Wirtschaft gut ist, muss für den Menschen selbst noch lange kein Segen sein. Die Chips bedrohen die Privatsphäre der Menschen auf ungeahnte Art und Weise: In Lebensmittelverpackungen, Kleidern, Hifi-Anlagen, CDs und so weiter könnten sie es dem Handel ermöglichen, ein genaues Profil des Kaufverhalten der KundInnen zu erstellen. Wären in allen Waren RFID-Chips, könnten Hose, Handtasche, Hemd und Hut den Lesegeräten am Eingang eines Geschäftes direkt die modischen Vorlieben der KäuferInnen melden. Die Leitung des Kaufhauses könnte Warenangebot und Werbeattacken gezielt personalisieren.
Bei Datenschutzvereinen aus allen Ländern der Welt läuten deshalb schon seit längerem die Alarmglocken: Sie sehen durch RFID eine Bedrohung für die Privatsphäre des Individuums. Bestätigt werden diese Befürchtungen durch die Pläne der Unternehmen, die sich eifrig für die Errichtung eines RFID-Systems einsetzen. So plante etwa Benetton, Chips in seine Textilien einzuweben, um deren Weg zu den VerkäuferInnen besser verfolgen zu können. Die Firma ging jedoch auf die Bedenken von DatenschützerInnen ein und versprach, die Chips nach Ankunft der Ware am Bestimmungsort zu zerstören. Da dies aber nicht mit Sicherheit garantiert werden konnte und die Proteste der DatenschützerInnen folglich nicht abflauten, gab Benetton seine Pläne wieder auf. Andere Firmen wie Marks & Spencer oder die Metro-Gruppe ließen sich von solchen Protesten hingegen nicht abhalten.
Die Metro-Gruppe, der unter anderem Galeria Kaufhof, Real, Praktiker, Mediamarkt und Saturn angehören, benutzt RFID nicht nur in der Warenlogistik und als Barcode. Die kleinen Chips werden ohne Hinweis auch in den KundInnenkarten der Metro-Future-Stores versteckt. In den Karten sind nicht einfach nur Daten über Produkte enthalten, sondern Informationen über die KundInnen selbst. Somit können alle KartennutzerInnen beim Betreten des Geschäftes eindeutig identifiziert werden. Erst als auf einer Veranstaltung des Datenschutzvereins FoeBuD e.V. mit VertreterInnen der amerikanischen Verbraucherschutzvereinigung CASPIAN Anfang Februar eine Teilnehmerin ihre Karte unter ein RFID-Lesegerät legte, wurde die Überwachung der KundInnen durch den Konzern bekannt.
Aber es wird noch auf viel höherer Ebene über die Verwendung von RFID-Chips nachgedacht: So spielt die Europäische Zentralbank ernsthaft mit dem Gedanken, ab 2005 RFID-Chips in ihre Geldscheine einweben zu lassen. Damit würde zwar die Aufklärung von Banküberfällen oder größeren Raubüberfällen erleichtert, gleichzeitig aber wäre die Anonymität beim Bezahlen nicht mehr gegeben. Wenn jede Banknote jederzeit sekundenschnell eindeutig identifizierbar ist, sind die Wege des Geldes nicht mehr unergründlich. Möglich ist auch, dass demnächst in Kredit- und Versichertenkarten oder Ausweisen »Spy-Chips« versteckt sind, so dass deren InhaberInnen jederzeit lokalisierbar werden. Gerade im Zusammenhang mit Sicherheitsbestrebungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beziehen viele Regierungen Möglichkeiten wie die Integration von RFID-Chips in Ausweise in ihre Überlegungen mit ein. Die Daten auf Pässen oder Versichertenkarten wären dank tragbarer Lesegeräte allen, die ein solches besitzen, zugänglich. Im Vorbeigehen könnten dann Krankheitsgeschichte oder Bargeldguthaben der Mitmenschen ergründet werden.
Damit sind die Möglichkeiten der neuen Mikrochips aber noch nicht ausgeschöpft: RFID-Chips sind so klein, dass sie überall eingesetzt werden können. Viele TierärztInnen etwa bieten jetzt schon an, Haustieren die Chips zu implantieren, um die Suche nach entlaufenen oder entführten Schoßtieren zu unterstützen. Weniger populär ist bis jetzt die Implantation von RFID-Chips bei Menschen. In Südamerika gibt es allerdings einige InteressentInnen, die sich die Mikrochips unter die Haut setzten lassen wollen, damit sie bei Entführungen besser geschützt sind. In den USA wiederum wollte die Mutter einer Familie (mittlerweile als die »Chipsons« bekannt geworden) ihre Kinder stets im Auge haben und sie via RFID lokalisierbar machen.
Die Debatte, inwiefern BürgerInnen- und VerbraucherInnenrechte durch RFID-Technologie eingeschränkt werden können, wird allerdings von der euphorischen Präsentation der Verwendungsmöglichkeiten - RFID-Handys als Haustürschlüssel oder Brieftasche auf der CeBit - weitgehend übertönt.
Natürlich gibt es für die RFID-Technologie auch durchaus sinnvolle Einsatzgebiete. So kann sie zum Beispiel helfen, die Verbreitung von Epidemien zu überwachen und somit einzudämmen. Das Alexandra Hospital in Singapur nutzte RFID, um die Ausbreitung der Lungenkrankheit SARS zu begrenzen. PatientInnen, die an der Grippe litten, wurden im Notfallbereich des Krankenhauses behandelt; es war wichtig, dass möglichst keine Keime von dort in die Außenwelt gelangten. Wegen der hohen Ansteckungsgefahr war es nötig, die Infektionswege der Krankheit verfolgen zu können und die möglicherweise Infizierten zu identifizieren. Aus diesem Grund erhielten alle PatientInnen, Angestellten und BesucherInnen des Alexandra Hospitals einen RFID-Chip. Gleichzeitig wurden überall im Krankenhaus Lesegeräte installiert. So konnte man die Verbreitung der Krankheit in Singapur eindämmen.
Dass RFID also nicht nur schlechte Seiten hat, geben auch die meisten Datenschutzvereinigungen zu. Sie sehen die Vorteile für die Warenlogistik und Kontrolle von Seuchen ein und wenden sich nicht gegen diese Methoden. Allerdings schätzen Organisationen wie FoeBuD, CASPIAN oder die Deutsche Vereinigung für Datenschutz die Gefahren der RFID-Technologie für die Privatsphäre so hoch ein, dass sie den Handel dazu auffordern, vom Einsatz von RFID-Chips abzusehen - zumindest bis eine Lösung gefunden wird, die Überwachung der einzelnen Personen zu verhindern.
Informationen sind im Netz unter www.aktiv.org/DVD/, www.vibe.at, www.quintessenz.org und www.datenschutzverein.de zu finden.