»Ich wollte keinen Film über den Genozid machen, sondern über die Erinnerung daran, und zeigen, wie Verleugnung das Trauma fortsetzt. Ich wollte die Folgen der historischen Ereignisse für unsere Generation aufspüren«, kommentierte der Regisseur Atom Egoyan, Kanadier armenischer Abstammung, seinen neuesten Film Ararat. Der 5165 Meter hohe Berg Ararat liegt in der östlichen Türkei im Grenzgebiet zum Iran und zu der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien. Die Legende will, dass dort die Arche Noah strandete. Aus diesem und anderen Gründen nimmt der Berg in der armenischen Mythologie einen besonderen Platz ein. In Egoyans Film symbolisiert er das armenische Volk.
Zentraler Aspekt in Ararat ist der Völkermord an den ArmenierInnen durch die Regierung des Osmanischen Reiches im Jahr 1915. Geschildert werden die Dreharbeiten zu einem Film des Regisseurs Saroyan über den Genozid. Die Rahmenhandlung für diesen Film im Film ist äußerst kompliziert und daher nur skizzenhaft anzudeuten. Ani, Professorin für Kunstgeschichte, ist Expertin für den armenischen Maler und Überlebenden von 1915 Arshile Gorky (1904-1948). Bei den Dreharbeiten ist sie wissenschaftliche Beraterin von Saroyan. Ihr Sohn Raffi nimmt ein großes Risiko auf sich, um in die Nähe des Ararat zu gelangen. Bei seiner Rückkehr aus der Türkei wird er von dem Zollbeamten David verhört. Auch hier ergeben sich Bezüge zu Saroyans Film: Der Freund von Davids homosexuellem Sohn spielt in diesem einen türkischen General, der das Massaker an den ArmenierInnen in der osttürkischen Stadt Van befehligt. Der Schauspieler, der zu einem Elternteil türkischer Abstammung ist, glaubt jedoch nicht daran, dass an den ArmenierInnen überhaupt ein Völkermord stattgefunden hat.
Ararat erzählt seine Geschichte nicht chronologisch. Er wechselt ständig zwischen den Ebenen - Gegenwart, Film im Film, historischen Rückblenden - hin und her. Der Film ist manchmal schwer verständlich und wirkt überladen, vor allem weil neben dem Genozid noch viele andere Geschichten erzählt werden und weil man die Darstellung des Genozids nur versteht, wenn man historische Vorkenntnisse hat. Ausgehend vom Völkermord an etwa 1,5 Millionen ArmenierInnen im Jahre 1915, werden Bezüge zu weiteren historischen Tatsachen gezogen. So zum Beispiel die Beziehungen zu anderen Staaten und die Entwicklung vom pantürkischen Nationalismus des Ersten Weltkriegs zum Kemalismus - der heutigen türkischen Staatsideologie. Aber auch zur Haltung der deutschen Regierung, die als Verbündete des Osmanischen Reiches nicht gegen die Ermordung der ArmenierInnen vorging.
Der Völkermord wird ausschließlich in den Film-im-Film-Szenen dargestellt, wobei die Darstellung dadurch verfremdet wird, dass Filmteam und Kulissen sichtbar werden. Es ist also immer klar, dass diese Szenen nicht »real« sind. Optisch zeichnen sie sich durch eine besonders grelle Farbgebung aus und wirken so gleichzeitig plakativ und surreal. Dazwischen werden Sequenzen gezeigt, in denen sich die Angehörigen der Filmcrew über den Film unterhalten. So beispielsweise der armenische Regisseur mit dem türkischstämmigen Schauspieler über die Historizität der dargestellten Ereignisse. Die Film-im-Film-Szenen werden also durch Filmszenen kommentiert, was ein weiteres Verfremdungsmoment ist. Dadurch werden aber weniger die historischen Ereignisse erhellt als die aktuellen Kontroversen. Insofern sind diese Szenen durchaus lehrhaft.
Der Film ist ebenso wichtig wie schwierig. Er setzt zu selbstverständlich das Wissen um die historischen Ereignisse voraus, trotzdem ist er sowohl ästhetisch als auch inhaltlich absolut sehenswert. Er regt dazu an, sich sowohl mit einem offiziell geleugneten Teil der türkischen als auch einem verdrängten der deutschen Geschichte zu befassen.
Ararat, Kanada 2002. Buch und Regie: Atom Egoyan. DarstellerInnen: Arsinée Khanjian, Charles Aznavour, Christopher Plummer, u.a. Bereits angelaufen.