Der 8. August 2003 war ein Tag des Jubels für südafrikanische HIV-Infizierte: Nach jahrelanger Verweigerung beschloss die Regierung ein landesweites Anti-Aids-Programm. Es soll sicherstellen, dass alle der mindestens 500000 Therapiebedürftigen mit Aids-Medikamenten behandelt werden können. Umgerechnet 1,5 Milliarden Euro sollen dafür fließen. Die Selbsthilfebewegung Treatment Action Campaign (TAC) kündigte daraufhin an, ihre »Aktionen des zivilen Ungehorsams« gegen die Regierung auszusetzen, und erklärte versöhnlich: »Wir werden mit der Regierung zusammenarbeiten, um Leben zu retten und ein besseres Gesundheitswesen aufzubauen.« Martina Pech sprach mit Nathan Geffen, dem Manager der TAC in Südafrika.
TAC hat gerade ihren fünften Geburtstag gefeiert. Wer organisiert sich in TAC und was sind die Beweggründe dafür?
Bei TAC gibt es Menschen aller wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe. Den Großteil machen jedoch sozial schwache afrikanische Frauen aus den Townships aus. Ich glaube, dass ein Teil der Attraktivität von TAC für sie darin besteht, dass es den Aktivismus und die Community-Organisierung, die in Südafrika während des Kampfes gegen die Apartheid spürbar war, wieder belebt. Außerdem bietet es den Menschen reale Hoffnung auf Verbesserung ihrer medizinischen Versorgung und damit auch ihres sozioökonomischen Status. Allein in der Zeit zwischen April und Juli 2003 haben wir hundert Mitglieder durch Aids verloren. Für viele Menschen war ihr Beitritt zu TAC eine Frage von Leben und Tod. Sie sehen TAC als ihre Chance und ihre Möglichkeit, wieder zu leben!
Nach einer langen und heißen Phase der Auseinandersetzungen gab die südafrikanische Regierung im August 2003 endlich nach und stimmte einem nationalen Behandlungsplan für HIV/Aids zu. Was führte zu diesem unerwarteten Kurswechsel und wie beurteilt ihr ihn?
Wie du schon angedeutet hast, ist das beschlossene Anti-Aids-Programm Ergebnis der langen Kämpfe mit der Regierung. Wir sind immer davon ausgegangen, dass wir irgendwann Erfolg haben werden. Seit August hat es ungeahnte Schritte seitens der Regierung gegeben, die darauf zielen, das Vertrauen der Zivilgesellschaft in diesem Bereich zurückzugewinnen. Im November hat die Regierung beispielsweise die Detailplanung des nationalen Behandlungsplanes veröffentlicht. Der sieht vor, innerhalb des nächsten Jahres in jedem der fünfzig Distrikte Südafrikas eine Klinik zur Aids-Behandlung einzurichten. Das ist eine höchst positive Entwicklung. Die wirkliche Arbeit fängt aber jetzt erst an: Wir müssen darauf achten, dass der Plan auch erfolgreich umgesetzt wird, und dafür sorgen, dass die Communities mobilisiert werden und die Menschen die notwendige Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten erhalten.
Welche nächsten Schritte hat TAC geplant?
Unsere wichtigste Kampagne in diesem Jahr wird es sein, die erfolgreiche Umsetzung des Plans zu garantieren. Dafür starten wir zum Beispiel ein umfassendes Aufklärungsprogramm über die Behandlung, vor allem in den Gegenden, in denen der Plan jetzt ansetzt. Wir bringen den Menschen etwas über die Medikamente, ihre Wirkung und Einnahmemodalitäten bei, wir informieren sie unter anderem über Prävention und über Ernährung. Ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit besteht in der Unterstützung und im Ausbau der ehrenamtlichen TAC-Ortsgruppen im ganzen Land. Diese Gruppen sind das Rückgrat von TAC. Sie arbeiten in den ärmsten Regionen des Landes, in Townships und ländlichen Gegenden und sind für Menschen mit sehr begrenztem Einkommen verantwortlich. Die Herausforderung für die lokalen Gruppen wird in diesem Jahr darin bestehen, mit einer Klinik in ihrer Gegend zusammenzuarbeiten, die Klinik quasi zu adoptieren, und sicherzustellen, dass dort Aids-Behandlungen durchgeführt werden können. Sie müssen also darauf achten, dass ausreichend MitarbeiterInnen zur Verfügung stehen, ausreichend Medikamente, diagnostische Instrumente, Tests usw.
Gibt es eine Art der Unterstützung, die ihr euch auf internationaler Ebene erhofft?
Zunächst: Die Erfolge der letzten Jahre wären ohne internationale Unterstützung nicht möglich gewesen. Auf internationaler Ebene ist der entscheidende Punkt, dass der globale Fonds das Geld erhält, das benötigt wird, um die Projekte in den armen Ländern zu finanzieren. Die Beiträge der reichen Länder waren bisher armselig. Internationale Solidarität sollte also dafür sorgen, dass der globale Fonds ein Erfolg wird.
Die Position von Präsident Mbeki wurde oft dadurch erklärt oder entschuldigt, dass er ein Vertreter der so genannten African Renaissance sei, der sich nicht auf »postkoloniale Einmischungen« des globalen Nordens einlassen will. Was denkt ihr darüber?
Für die Mitglieder von TAC wird es nicht leicht sein, Präsident Mbeki zu vergeben bzw. zu vergessen, was geschehen ist, denn Tausende Menschen, darunter viele TAC-Mitglieder, sind in den letzten Jahren gestorben. Das ist dem Versagen der Regierung geschuldet, die nicht früher gehandelt hat. Für dieses Versagen gibt es keine begründete Erklärung. Es handelt sich um irrationales, unwissenschaftliches Verhalten. Andere afrikanische Länder wie Nigeria oder Kenia haben die Notwendigkeit für Aids-Therapien schon vor Jahren erkannt und danach gehandelt.
Das Interview erschien zuerst in analyse + kritik Nr. 482. Im Netz ist es unter www.akweb.de zu finden.