Der Engländer Neil Gaiman ist den meisten, die ihn als Autor kennen, als einer der MacherInnen der Comic-Serie Der Sandmann bekannt, die von Morpheus handelt, dem Gott der Träume. Sein dritter Roman American Gods ist in Deutschland im Heyne-Verlag erschienen. Im modernen Amerika leben die von den frühen, mittleren und späten MigrantInnen mitgebrachten Götter und Sagengestalten der verschiedensten Pantheons und Mythologien als nun fast vergessene Wesen, die um ihre Portion menschlichen Glaubens und um das Überleben in einer Welt kämpfen, die nicht mehr die ihre ist.
Wie teilweise auch beim Sandmann tummeln sich in American Gods die verschiedensten sagenhaften und andersweltlichen Gestalten: Neben den germanischen Göttern Odin und Loki tauchen unter anderem irische Leprechauns, Minotauren und asiatische oder ägyptische Gottheiten wie Bastet, Horus, Anubis und Thot auf. Selbst die Königin von Saba ist anwesend und bestreitet als gar nicht mehr heilige Prostituierte ihren Gebets- und Lebensunterhalt. Man könnte also ein wildes Götter-Potpourri vermuten. Neil Gaiman kennt jedoch die alten Wesen gut, über die er schreibt. Er schafft es wahrscheinlich sogar, sie unkundigen LeserInnen näher zu bringen.
Im Gegensatz zu der großen Flut an trivialer Fantasyliteratur ist Gaimans Buch kritisch und hintergründig, nicht nur unterhaltend. Es beschäftigt sich mit Religion und Geschichte, mit der Vorstellungskraft der Menschen in einem sich verändernden Lebensraum. In den Zeilen wird der Glaube als fundamentale Fähigkeit und Bedürfnis des Menschen beschrieben.
Wie der Titel des Romans besagt, geht es um Gottheiten, jedoch nicht ausschließlich um sie: Der Autor erzählt mehrere Geschichten in einer und ist ein guter Geschichtenerzähler, der die unterschiedlichen Fäden der Handlung geschickt knüpft und verbindet. Da ist beispielsweise die Geschichte von Shadow: Gerade aus dem Gefängnis entlassen und seiner Zukunftsperspektiven beraubt, findet er sich nach einem kleinen Met-Umtrunk und einer Rauferei als Chauffeur wieder. Dieser Job wird ihn weit herumkommen lassen, und einige der von ihm besuchten Orte sind mit einem Auto nicht zu erreichen. Dann sind da noch kleine Zwischenspiele, wie die Geschichten von MigrantInnen, die Begegnung zwischen einem Ifrit (einem Feuerwesen der islamischen Mythologie) und einem Araber in einem New Yorker Taxi und Zeitreisen in die amerikanische Geschichte. Nichts ist so, wie es scheint. Wer die Guten und die Bösen sind, wird erst am überraschenden Ende des Buches bekannt.
Nach dem Lesen werden Fragen wach, beispielsweise die nach dem Verbleib des alten Kulturguts der Menschheit. Trotz des etwas teuren Preises von 24 Euro lohnt sich der Gang in die Buchhandlung und das Lesen dieser sagenhaften Zeilen ganz bestimmt. Thot, der ägyptische Gott des Wortes und der Schrift, scheint ein guter Freund des Autors zu sein.
Neil Gaiman: American Gods, Heyne-Verlag, München 2003, 24 Euro.