»Du bist der Stachel im Fleisch der Nato, die Spaßbremse des Imperialismus, der einsame Berufsrevolutionär, der für die Rechte seiner Kameraden kämpft.« Mit diesen Worten und darauf folgendem Gelächter verärgert Martin seinen Mitbewohner Frank Lehmann, der gerade hatte verlauten lassen, den Wehrdienst verweigern zu wollen. Doch Frank Lehmann meint es ernst. Er ist nur bei der Bundeswehr, weil er es irgendwie verpasst hat zu verweigern, und eigentlich weiß er auch gar nicht, wie das eigentlich geht: Verweigern.
Wir schreiben das Jahr 1980. Es ist eine Zeit, in der sich die Jugend in einer Vielzahl politischer Gruppierungen organisiert und das Private noch ein wenig politisch sein soll. So nennen sich auch die Freunde von Frank Lehmann »Genossen« oder »Ex-Genossen«. In ihrer WG oder in der Kneipe um die Ecke wird viel diskutiert, man regt sich über das Feierliche Gelöbnis der Bundeswehrsoldaten auf, das im Fußballstadion stattfinden soll. An Frank wird mal mehr, mal weniger ernsthaft der Anspruch gerichtet, in der Bundeswehr »politisch zu arbeiten«, wenn er schon mal da sei. Aber Frank ist nicht wirklich politisch, eher »so der Scheißegal-Typ«. Damit passt er hervorragend in seinen Bekanntenkreis, denn der besteht vorwiegend aus Leuten, die ihre Sachen, sei es das Studium oder die politische Arbeit, nicht mit ernst zu nehmender Konsequenz betreiben. So verwendet Martin seine Energie am liebsten darauf, einen WG-Mitbewohner nach dem anderen mit aggressiv-fiesen Kleinkriegen in die Flucht zu treiben. Währenddessen wird Lehmann als Rekrut in der Grundausbildung ordentlich zusammengeschrien und ist zu allem Überfluss auch noch wider Willen Vertrauensmann seiner Kompanie.
Man bekommt im Laufe der Lektüre den Eindruck, dass das Leben von Frank Lehmann freudlos und deprimierend ist. Gleichzeitig halten jedoch die zahlreichen Ausführungen der Gedankengänge Franks und die Dialoge in Regeners Buch auf jeder Seite humorige Eigentümlichkeiten bereit. Diese können für die LeserInnen, die sich mit dem ausgefeilten Charakter des Protagonisten identifizieren können, so interessant wie amüsant sein.
Wenn Regener schildert, wie sich Frank in der Kaserne im Umgang mit seinen Vorgesetzten und Kameraden fühlt, oder wenn er die Verliebtheit seiner Hauptfigur beschreibt, fügt sich das auf interessante Weise in das kritische Panorama der deutschen Gesellschaft, das das Buch malt. Denn auch politisch-gesellschaftliche Konflikte wie der zwischen linken DemonstrantInnen und Bundeswehrsoldaten finden Erwähnung. Wobei hier wieder ein differenziertes Bild von der Institution Bundeswehr gezeichnet wird, das nicht immer negativ, aber auch längst nicht nur positiv, meistens jedoch ziemlich lustig ausfällt.
Sven Regener: Neue Vahr Süd, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004, 24,90 Euro.