Der Karlsruher Professor und Schriftsteller Klaus Theweleit hat mit Tor zur Welt ein Fußballbuch veröffentlicht, das jeden auch nur erdenklichen Bereich streift, der sich irgendwie mit den Geschehnissen um den Lederball in Verbindung bringen lässt. Vieles aus der Jugendzeit Theweleits kommt bekannt vor. Altersbedingt vielleicht nicht unbedingt die Schweinsblase, die ihm in jungen Jahren als Ballersatz diente. Die merkwürdigen Flugeigenschaften eines Plastikballs jedoch schon. Und auch, dass so ziemlich jedes auch nur annähernd ballähnliche Gebilde zum Fußball umfunktioniert wurde.
Hat man diese Abschnitte über Theweleits Jugenderinnerungen hinter sich gelassen, kommt man immer wieder zu Kapiteln, die durch eine ungewöhnliche Sicht der Dinge faszinieren. Ein Spielmacher à la Günter Netzer, der mit seinen langen Haaren und seinem Auftreten am Ende der Sechziger- und zu Beginn der Siebzigerjahre als Rebell, als »fußballerischer Elvis« galt, war laut Theweleit als Regisseur Teil eines damals vorherrschenden kolonialen Denkens auf dem Platz: »Während Netzers Pässe etwa für den Feuilletonisten Helmut Böttiger den Geist der Utopie atmeten, konnte der Betrachter unschwer erkennen, dass sie ihre Basis in einem ausgeprägten Ich-da-oben-ihr-da-unten-Denken hatten. In einer strikten Trennung von Arbeit und Genie, von Knochenjobs und kreativen Tätigkeitsfeldern, von Untergebenen und Chefs, die sich konsequent auch in einem unterschiedlichen sozialen Renommee und in der Bezahlung ausdrückte.«
Die Verknüpfung von Fußball mit politischen, historischen und sozialen Aspekten macht die Stärke von Theweleits Buch aus. Zwar kann niemand ernsthaft in Zweifel ziehen, dass die bundesdeutsche beziehungsweise deutsche Mannschaft in den letzten vierzig Jahren weltweit erfolgreich Fußball spielte. Die bahnbrechende taktische Fußballrevolution aber schreibt Theweleit nicht Deutschland, sondern den Niederlanden zu. Die Ende der Sechziger- und zu Beginn der Siebzigerjahre von Ajax Amsterdam und der niederländischen Elf »erfundene« Verengung bzw. Erweiterung des Fußballfeldes basiert seiner Einschätzung nach auf einem besonderen niederländischen Raumverständnis: »Es [Holland] ist in allen seinen Teilen Produkt künstlicher Raumordnungen; geschützt von Deichen, aufgeteilt in Quadrate und Rechtecke in einem durchgeplanten Wechsel von Wasser und Landflächen, Straßen und Kanälen.« Parallelen erkennt Theweleit in den Grundzügen der niederländischen Malerei: »Es ist, aus der Luft betrachtet und wenn seine regelmäßigen Tulpenfelder blühen, ein einziger großer Mondrian.«
Theweleit versucht, die in den letzten Jahren beinahe ins Unermessliche gesteigerte »Intellektualisierung« des Fußballs auf den Punkt zu bringen: »Kannten sich die Leute vor drei Jahrzehnten noch bestens in den diversen chinesischen Wegen zur deutschen Revolution aus, kommentieren sie heute versiert die Verschiebungen der fußballerischen Gemengelagen.« Folglich: »Die Diskussionen über Pressing und Verschieben wären die Diskussionen des richtigen Moments des richtigen politischen Handelns«. Und »Zidane wäre dann so etwas wie der aktualisierte Lenin, ein unverfänglicherer zumal«.
Klaus Theweleit: Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 8,90 Euro.