»Geschichte konkretisiert sich durch Namen und Orte. Denn vollendet wird die Vernichtung der Opfer erst durch das Vergessen«, schreibt Hans-Joachim Lang im Vorwort seines Bandes Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren. Der Historiker Lang widmet sich einem Projekt, das der Anatomieprofessor August Hirt im Auftrag des SS-Ahnenerbes durchführte.
Im August 1943 wurden im elsässischen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof 86 jüdische Häftlinge im Auftrag Hirts ermordet. Für eine anthropologische Schausammlung an der Universität Straßburg wollte der Mediziner die Leichen skelettieren und so die Auffälligkeiten einer angeblichen jüdischen Rasse aufzeigen. An der Selektionsrampe des Konzentrationslagers bedienten sich die Wissenschaftler »wie in einem Warenhaus«, so Lang. Beim Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes versuchten Hirt und seine Mitarbeiter, möglichst viele Spuren zu vertuschen. Als Beweise ihres Verbrechens blieben nur die Leichen, Leichenteile und eine Liste der KZ-Nummern der Opfer, die ein misstrauischer französischer Mitarbeiter des Anatomieprofessors sorgfältig notiert hatte.
Lang rekonstruierte in jahrelanger Recherchearbeit in europäischen und US-amerikanischen Archiven die Namen der 86 Ermordeten und besuchte die Lebensorte einiger Opfer. Im Gespräch mit aufgespürten Verwandten und ZeitzeugInnen gab er den 29 Frauen und 57 Männern ihre Namen und ihre Geschichte zurück. Dabei beschreibt er aufschlussreich in allen Details sein Vorgehen bei der Recherchearbeit.
Darüber hinaus fasst Lang umfangreiches Material zum Vorgehen der NS-Mediziner bei der Auswahl der Opfer und der Konzeption der »Ausstellung« zusammen und beleuchtet deren pervertierte Rassenideologie. Ein Einblick in die Ermittlungen der französischen Militärjustiz nach der Befreiung Frankreichs zeigt den Umgang mit Hirts Experimenten in der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte. In einem gesonderten Kapitel resümiert Lang die Lebensläufe der beteiligten NS-Mediziner. Nur wenige von ihnen wurden vor Gericht für ihre Taten zur Verantwortung gezogen.
Hans-Joachim Lang: Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2004, 19,90 Euro.