In seinem neuen Buch Ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert räumt der chilenische Soziologieprofessor Tomás Moulian mit einigen Dogmen der sozialistischen Linken auf. Die beiden großen Experimente des 20. Jahrhunderts, die Sozialdemokratie und der real existierende Sozialismus, sind seiner Einschätzung nach gescheitert. Für ihn ist dies allerdings kein Grund, dem Sozialismus überhaupt abzuschwören.
Der Sozialismus im 21. Jahrhundert kann für den Soziologen weder Reform noch Revolution sein sondern ausschließlich Transformation. Im letzten Drittel seines Buches entwirft er hierfür eine Art Reisekarte. Eine Abkehr vom Staatskult und eine Hinwendung zur partizipativen Demokratie nennt er als Eckpfeiler. Angestrebt werden müsste vor allem eine Vergesellschaftung der politischen Macht.
Partizipative Demokratie bedeutet für Moulian, dass auf lokaler Ebene demokratisch verfasste Räte entscheiden, was, wie und wo produziert wird. Entscheidungen von überregionalem Charakter sollen sie an gewählte MandatsträgerInnen delegieren. Auch Parteien sollen ihren Platz im neuen Sozialismus haben. Voraussetzung sei jedoch eine Abkehr von einem rein technokratischen Politikverständnis und eine Hinwendung zu offenen Diskussionen um politische Prinzipien. »Die antiideologische Welle hindert die Parteien daran, klar zu denken. Sie vernachlässigen deshalb die offenen Diskussion über die Grundlagen ihrer tagespolitischen Entscheidungen«, schreibt Moulian.
Die neue politische Kultur, die Moulian anstrebt, soll auf den »Kampf auf Leben und Tod« verzichten. Der Buchautor ist in Chile aufgewachsen und geprägt von der Erfahrung des Militärputsches am 11. September 1973. Damals sei für ihn eine Welt untergegangen. Dennoch will Moulian das Experiment erneut wagen. Dabei entwirft er allerdings ein teilweise zaghaftes Sozialismusmodell. Wie sollen etwa die Kernelemente einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung einer effektiven, demokratischen Kontrolle unterworfen werden, ohne dass dabei ihre Existenz an sich in Frage gestellt würde?
Trotz solcher Widersprüche ist das Buch von Moulian lesenswert, weil er nach wie vor für eine andere Welt streitet, ohne dabei die Geschichte zu vergessen. Angenehm ist, dass sein Sozialismus nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt, nicht als Traktat oder Manifest, sondern als eine grobe Reiseskizze, an der man sich auch reiben kann.
Tomás Moulian: Ein Sozialismus für das 21.Jahrhundert oder der fünfte Weg, Rotpunktverlag, Zürich 2004, 16,80 Euro.