»Die Kettenduldungen und der unsichere Aufenthaltsstatus sind nach wie vor ein großes Problem.« Für Marlene Tyrakowski, die Leiterin des Kölner Roma-Schulprojektes Amaro Kher, ist unter diesen Voraussetzungen eine sinnvolle Schularbeit nur schwer möglich: »Wenn die Eltern Termine bei der Ausländerbehörde haben, klopfen Sechsjährige die ganze Zeit bei mir an und wollen mit ihren Eltern telefonieren«, veranschaulicht sie die große psychische Belastung der Kinder und deren Angst vor einer Abschiebung.
Knapp vierzig Kinder im Alter zwischen fünf und vierzehn Jahren sind momentan bei Amaro Kher angemeldet, das unter der Trägerschaft des Rom e.V. nach den Sommerferien in das zweite Schuljahr gestartet ist. Ziel von Amaro Kher ist es, die Roma-Kinder, die alle aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen, auf den regulären Schulbesuch vorzubereiten. Solange sie und ihre Familien nur geduldet sind, fallen diese Kinder nicht unter die Schulpflicht, und auch die Anmeldung bei Amaro Kher erfolgt von Seiten der Eltern freiwillig. Momentan sind jedoch alle Amaro-Kher-SchülerInnen in Regelschulen angemeldet und von diesen an die Roma-Schule abgeordnet.
Untergebracht ist das Projekt in einer Baracke am Venloer Wall am Fuß des Fernsehturmes. Eigentlich war das baufällige Gebäude nur als Provisorium vorgesehen, der Stadtrat hatte den Umzug in ein größeres Gebäude in der direkten Nachbarschaft längst beschlossen. Aber erst jetzt, nach einem langen Rechtsstreit mit den ehemaligen NutzerInnen, kann Amaro Kher zumindest Teile des wesentlich größeren Hauses beziehen. Bis zur endgültigen Sanierung des Gebäudes wird ein Teil des Unterrichtes allerdings weiter in der Baracke stattfinden. Diese platzte jedoch bereits im letzten Jahr mit knapp über zwanzig SchülerInnen aus allen Nähten. »Zumindest haben wir seit diesem Schuljahr einen zweiten abgeordneten Lehrer«, betont Tyrakowski: »Damit können wir jetzt auch in der Sekundarstufe unterrichten, ein großer Gewinn, nachdem wir im letzten Jahr nur Primarstufenunterricht und einen Alphabetisierungskurs anbieten konnten.« Im April 2005 hat Amaro Kher zudem eine Vorschulgruppe eingerichtet. Nach dem Umzug soll die Zahl der SchülerInnen weiter steigen, außerdem sollen Deutsch- und Alphabetisierungskurse für Eltern angeboten werden.
Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Arbeit mit den Kindern ist nach Tyrakowskis Ansicht, dass Amaro Kher ein Ganztagesprojekt mit Abholservice, Frühstück, Mittagessen, Förderangeboten und ärztlicher Betreuung ist. Mit einer Ausnahme sind alle Kinder unter schlechten Bedingungen in Flüchtlingsheimen im ganzen Stadtgebiet untergebracht. »Mit sechs oder mehr Menschen leben die Kinder in viel zu kleinen Räumen und unter gesundheitsschädlichen hygienischen Bedingungen«, beschreibt Tyrakowski die Situation: »Die Kinder haben in den Heimen keine Spielorte, in der Regel keinen Tisch für Schularbeiten und keine Rückzugsmöglichkeiten. Sie brauchen mehr als alle anderen Kinder eine Ganztagsschule.« Einer der Schulbusse, der die Kinder jeden Morgen abholt und sie abends wieder zurückbringt, wird von Toyota unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Tyrakowski: »Wir sind auf derartige Unterstützung und auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen. Die öffentlichen Mittel reichen einfach nicht aus.«
Bereits vor seiner Einführung im letzten Sommer war Amaro Kher politisch umstritten. Das Projekt ist Teil eines restriktiven städtischen Mehrstufenplans, der sich in erster Linie gegen polemisch als Klau-Kids bezeichnete Jugendliche richtet. Diese waren im letzten Jahr von Teilen der Kölner Öffentlichkeit und von zahlreichen Medien als erhebliche Gefahr für die Sicherheit in der Stadt bezeichnet worden. Während sich die ersten drei Bausteine des Konzeptes mit der Verteilung illegal eingereister Personen auf verschiedene Kommunen, Maßnahmen gegen die Eltern von straffälligen Kindern und der strafrechtlichen Verfolgung von Jugendlichen befassen, gehört Amaro Kher zum vierten Baustein. Dieser soll Roma-Flüchtlingsfamilien, deren Kinder oft mit den »Klau-Kids« in Verbindung gebracht wurden, schulische und sozialpädagogische Hilfe bieten. Nach Ansicht der Kölner Ratsfraktion der FDP kann dies allerdings nicht - wie bei Amaro Kher - durch eine »offene Einrichtung« geschehen, da sie die »gebotene Verbindlichkeit vermissen« lasse. Nur mit »geschlossenen Einrichtungen« könnten die Kinder »aus dem kriminellen Umfeld ihrer Familien gerissen« werden.