Die so genannten Protokolle der Weisen von Zion stellen das wohl am weitesten verbreitete und zählebigste antisemitische Dokument dar. Sie enthalten die gesamte Bandbreite des modernen Antisemitismus: Eine jüdische Verschwörung mit dem Ziel der Weltherrschaft kontrolliert Presse, Politik und insbesondere die Wirtschaft. Dass die »Protokolle« eine plumpe Fälschung darstellen, wurde oft genug bewiesen, doch konnte es ihren Siegeszug nicht verhindern. Wie jede Verschwörungstheorie scheinen sie für ihre AnhängerInnen mit jedem Beweis des Gegenteils nur noch an Plausibilität zu gewinnen.
Mit dieser irrationalen Überzeugungskraft der »Protokolle« hat sich auch der US-amerikanische Comiczeichner und Begründer der Graphic Novel Will Eisner zwanzig Jahre lang beschäftigt. Eisners letztes Werk Das Komplott. Die Geschichte der Weisen von Zion, das nun posthum erschienen ist, zeigt, wie die Fälschung entstanden ist und wie sie sich um die ganze Welt verbreitete.
Die »Protokolle« entstanden ursprünglich im Auftrag des russischen Geheimdienstes. Sie sollten Juljewitsch Witte, den liberalen Berater von Zar Nikolaus II., diskreditieren und die Modernisierungspolitik des Zaren beenden. Dabei machte der Geheimdienst sich die antisemitischen Überzeugungen von Nikolaus II. zunutze. Die Modernisierer sollten als Teil einer jüdischen Verschwörung dargestellt werden, die den Sturz des Zaren beabsichtigte.
Als Vorlage diente die Schmähschrift Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu des französischen Schriftstellers Maurice Joly gegen Napoleon III. 1905 erschienen die »Protokolle« zum ersten Mal in gedruckter Form. In Eisners Comic recherchiert ein Journalist der Londoner Times ihre Entstehungsgeschichte. Bei der Darstellung der Übereinstimmungen zwischen Jolys Schrift und den »Protokollen« vertraut Eisner allerdings nicht mehr allein auf die Bildsprache. Auf 17 Seiten werden, für die Leserschaft etwas ermüdend, Textblöcke aus beiden Schriften gegenüber gestellt. Eisner scheint hier etwas verzweifelt auf die Mittel der Aufklärung zu setzen, um »einen weiteren Nagel in den Sarg dieses schrecklichen, vampirähnlichen Betrugs schlagen« zu können. Dennoch scheint ihm klar zu sein, dass den »Protokollen« mit Vernunft nicht beizukommen ist. In einer Szene zeigt er eine islamistische Versammlung im Jahre 2000, bei der eine Frau sagt: »Selbst wenn es gefälscht ist, sollte man es lesen, weil es die Juden entlarvt.«
Dass die Geschichte dieser Schrift noch nicht zu Ende ist, zeigt auch folgende Episode: Während der DVA-Verlag Eisners Buch vor einigen Wochen auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte, stellte der Iran in einer Nebenhalle die in Deutschland verbotenen Protokolle der Weisen von Zion in englischer Sprache aus.
Will Eisner: Das Komplott. Die Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion, DVA-Verlag, München 2005, 19,90 Euro.